17. Juli 2009
Aus der Geschichte der Einwohnergemeinde Saanen und des Saanenlandes
Der Fluss des Saanenlandes ist die "Saane" oder das Landwasser. Landwasser war vor allem früher ein Hauptname des Hauptgewässers einer Region, so auch im Simmen-, Diemtig-, Emmental oder in Graubünden. Der Name Saane ist alteuropäisch und bedeutet "fließen". So entstand der Name der Einwohnergemeinde Saanen und wegen der rechtlichen Selbstständigkeit Saanenland. Der historische Name "Gessenay" taucht nur in welsch geschriebenen Urkunden, erstmals 1228 als Gissinay auf. Seine Deutung war lange unklar, entstammt aber deutsch Wyßenöy (Wyßenau, von althochdeutsch "wizzi", Gericht, nicht etwa die Farbe weiß!). Ein Vergleich im Berner Oberland zeigt, dass nur alle Hauptorte solche Flurnamen kennen (Wyßland, Weißenau o.ä.). Der Name nimmt Bezug auf den Ort der Landsgemeinde mit der Gerichtsbarkeit sowie mit der Endung 'Aue' der Lage am Zusammenfluss zweier Bäche (Pfyffeneggbächli und Gießen) unter der Kirche. Der Hauptort wurde auch einfach nur 'Platz' genannt. Wenige Flurnamen weisen auf eine keltische Teilbesiedlung hin, wie z. B. Saanen, Turbach, Abländschen, Belmunt. Ungefähr im 5. Jahrhundert wanderten germanische Burgunder ein, und im 8. Jahrhundert brachten die ebenfalls germanischen Alemannen vom Simmental her die deutsche Sprache ins Saanetal. Politisch gehörte Saanen in den Anfängen zur um 900 erstmals erwähnten Grafschaft Ogo oder Ufgau, später Greyerz genannt.
Erstmals bildeten 1312 die Bewohner der «Landschaft Saanen» eine durch einheitliches Recht verbundene politische Einheit (eigenes Wappen mit Fahne, Siegel, Maß). Oft genug wurden die Saaner durch Greyerz in fremde Händel gezogen, vor allem mit dem Wallis. 1393 erfolgte der denkwürdige Friedensschluss zwischen Wallisern und Saanern am «Dürren Sieewli» am Saanetzpass. 1444 bis 1447 erweiterte man die Saanenkirche zur heutigen Größe als Talkirche. Es war dies ein Zeichen frommen Glaubens, aber auch Ausdruck politischen Selbstbewusstseins und der finanziellen Möglichkeiten. Die Selbstständigkeit wurde in der Folge immer wichtiger. Die Saaner suchten die Herrschaft der Greyerzer Grafen abzuschütteln und kauften sich von immer mehr Steuern und Abgaben frei. Der wichtigste Loskauf geschah unter der Führung des einheimischen Kastlans Niclas Baumer am 3. Dezember 1448, als Graf Franz I. von Greyerz die Saaner gegen die gewaltige Summe von 24'733 Pfund von allen Bodenzinsen, Abgaben, Zehnten sowie Gewerbe- und Handelsbeschränkungen befreite. Gleichzeitig verlieh der Graf den Landsleuten das Recht, ein eigenes Siegel und Wappen, die «Kryen uff dem Bergen» (den Kranich auf dem Dreiberg) zu führen. Damit war die Oberhoheit der Grafen von Greyerz faktisch aufgehoben und bestand nur noch auf dem Papier.
1555, nach dem Konkurs des letzten Grafen Michael von Greyerz wurde die Grafschaft unter den Geldgebern aufgeteilt. Das deutsche und welsche Saanenland (modern Pays-d'Enhaut) wurden bernisches Untertanengebiet und bildeten von nun an eine eigene, gemeinsame Landvogtei. Die Talschaften Ober- und Niedergreyerz kamen zur Stadt Freiburg. So wurde die Stadt Bern als ehemaliger Verbündeter zur neuen Landesherrin, und der Traum, gar ein selbstständiger, eidgenössischer Ort zu werden, war ausgeträumt.
Am 5. März 1798 haben die Saaner gemeinsam mit den Nachbarn aus dem Pays-d'Enhaut und dem Ormont die eindringenden Franzosen am Col de la Croix (Chrüützpass) zurückgeschlagen, so dass unser Land von Plünderungen verschont blieb. Nach dem Untergang des alten Bern wurde das Saanenland zum bernischen Amtsbezirk mit eigener Bezirksverwaltung und Amtsgericht und in die drei politischen Einwohnergemeinden Saanen, Gsteig und Lauenen aufgeteilt. Der Vanel zwischen Saanen und Rougemont bildet seither die amtliche Kantons- und Sprachgrenze zum welschen Kanton Waadt.
Auswanderungen
Die hohe Bevölkerungsdichte im Saanenland seit dem Hochmittelalter führte sehr früh zu zahlreichen Auswanderungen. Der Handel und das bernische Hofrecht mit dem Vorrecht des jüngsten Sohnes zur Hofübernahme (Minorat) führte naturgemäß zur Auswanderung der ältesten Geschwister, wenn sie keinen andern Hof in der Gemeinde fanden zur Selbstführung. Saanenland wie Simmental lagen im Mittelalter, als der Gotthard noch nicht passierbar war, an der internationalen Transitroute Europas über die Alpen, was die Besiedlung in diesem AIpenteil sehr früh förderte und weitertrieb. Die Bedeutung des Saanenlandes bestand aber zusätzlich in seiner Eigenschaft als Kreuzungspunkt mit der fast gleich wichtigen Querverbindung durch die Alpen, die sogenannte «Hintere Gasse». Diese führte in Ost-West-Richtung über mehrere Pässe: Engelberg-Grindelwald-Ermund/Les Ormonts und bis nach Savoyen sowie an den Genfersee über den Jomenpass oder Col du Jaman. Richtung Norden gelangte man über den Mittelberg (auch Grubenpass) nach Abländschen und Jaun und über den Euschelspass (örtlich Neuschels) zum Schwarzsee, ins Schwarzenburgerland und nach Bern. Einzig über die Möser führte ein karrenfähiger Hauptweg, der mit Pferden begangen wurde. Zeugen dieser alten Verbindungen sind Bissenherbrig, eine einstige Herberge und das einzige und älteste Steingebäude im Bereich Turbach-Bissen, sowie Herbrig im Scheidbach, Meielsgrund und Grischbach. Weit bedeutungsvoller war aber die Nord-Süd-Verbindung, welche vom Aareraum und Thunersee durchs Simmental nach Saanen führte. Von hier ging es über den Saanenetzpass (frz. Sanetsch) nach Sitten und durchs Eringertal weiter über den damals eisfreien Ering- und Theodulpass ob Zermatt ins Augsttal (Vallée d'Aoste oder frankoprovenzalisch Val d'Ota/Aou[s]te, neuzeitlich «Valle d'Aosta») und nach Italien. Diese Reiseroute war seinerzeit stark frequentiert und in Europa von grösster Bedeutung. Mit der Klimaverschlechterung vor über 500 Jahren machten im Wallis Gletscher der Begehbarkeit ein Ende, die Verbindung geriet in völlige Vergessenheit wie auch die daran wohnhaften Menschen und ihre alten Beziehungen.
Im Lystal/Vallée de Gressoney und in Ayas bestehen die gleichen Siedlungsstrukturen wie im Saanenland mit Bäuerten und Einzelhöfen, dem gleichen Hausbau mit Eckbalken, der gleichen Sprache mit den kennzeichnenden -i- -Einschüben in der betonten Silbe wie Hier/Pfarrherr, Chies/Käse, Lierch/Lärche usf. Früher hatte man sogar das gleiche Geld, die "Chrooni" (Kronen) hüben und drüben. Auch über 120 gleiche Familiennamen bezeugen weiter die alten, vergessenen Gemeinsamkeiten. Doch nicht nur dort, auch in benachbarten deutschen Bergdörfern wie auch in Graubünden begannen diese Berner Siedler zahlreiche Erstbesiedlungen im Rheinwald, Vals, Landschaft Davos, Schanfigg, Prättigau und im St. Galler Oberland sowie Liechtenstein. Auch in Vorarlberg weist vor allem die Talschaft Mittelberg sprachlich-kulturell viele Übereinstimmungen mit hier auf. Doch die Saaner wanderten auch viel weiter Weg, ins Elsass, nach Deutschland (Pfalz, Saarland, Preussen), nach Ost-Frankreich, Russland und in die Vereinigten Staaten von Amerika. Häufige Anfragen von Ausgewanderten mit Saaner Familiennamen, z. T. gleichen Familienwappen, nach ihren hiesigen Wurzeln treffen seit Jahren in der Gemeinde ein und bezeugen eine nicht vollständig aufgearbeitete Ortsgeschichte. Bereits im 15. Jh. sind Saanerkolonien in den Städten Bern und Freiburg belegt. In Hochsavoyen sind nach aktuellem Kenntnisstand in sechs Gemeinden deutschsprachige Siedler aus dem Berner Oberland nachgewiesen. In der einstigen deutschen Sprachinsel Vallorcine, zwischen Chamonix und Martigny gelegen, zeigt deren urkundlich erwähnter Name Bernertal unmissverständlich auf die Herkunft der Bevölkerung aus dem bernischen Hoheitsbereich. Aber noch früher wanderte man aus dem Berner Oberland und Saanenland ins Wallis aus. Schon im 14. Jahrhundert ist der Rebberg Läntina ob Sitten urkundlich erwähnt "vigne des Gessiniesy". In Schäflen/Savièse (daraus auch Deutsch Schaffiesi) stammt die Mehrheit der Familiennamen aus dem Saanenland. Die Gemeinde ist seit der Gegenreformation vollständig verwelscht. Aber im Mittelalter wohnten Saaner in Siders und Umgebung sowie im Eifischtal/Val d'Anniviers, wovon entsprechende Flurnamen zeugen. Der dortige Gemeindename Chandolin ist eine Übertragung von Schändlis/Chandolin in der Gemeinde Savièse. Der Weiler Fang darunter war ganz durch Saaner gegründet worden. Auch im Eringertal/Val d'Hérens ließen sich schon früh im Mittelalter Saaner Siedler nieder. Man findet dort heute solche mit den Familiennamen Bitz (in Saanen Alp Bitzegg), Blatter, Gruber/Combaz, Janz/Anzevui, Kunz/Kuntschen, Moser, Rieder, Scherb/Chervier, Spengler/ Gaspoz, Stalder oder Wyssen-Vuissoz, Zumstein/Dussez/-ex oder Zurkinden/Quinodoz.
Das Saanenland ist heute ein Hauptzuchtgebiet des Simmentaler Rotflecksviehs, welches seit Jahrhunderten weltweit ausgeführt wurde und wird und heute zur einer weitverbreiteten Viehrasse zählt. Stark waren im 19. Jahrhundert die Viehtransporte nach Deutschland, Holland und Russland. Sie ist robust, zeichnet sich durch natürliche, hohe Milchleistung aus und ist auch ein sehr geschätzter Fleischlieferant. Der Saanenkäse ist bekannt für seinen Wohlgeschmack. Moderne Untersuchungen belegen den hohen Nahrungsgehalt an den wichtigsten, lebensnotwendigen Substanzen. Er weist gleiche Eigenschaften auf wie die mediterrane Ernährung. Bereits im 17. Jh. ist von Saanern die Rede, welche in Marseille ihren Käse feilboten. Die eigene Ziegenrasse «Saanengeiss» ist weitherum begehrt, das liebliche Tier mit seinem schneeweiss leuchtenden Fell bildet die Ziegenrasse mit der ergiebigsten Milchleistung, sie ist meist hornlos und trotzdem mit eigenem Charakter. Bis ins 19. Jh. zogen die Bauern mit den Tieren auf die Märkte von Bulle/Boll, Thun, Spiez oder Erlenbach. 1821 wurde die neue Strasse von Thun eingeweiht.